Klimaneutralität 2040: Das Ziel aufgeben oder daran festhalten?

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Klimaneutralität 2040: Das Ziel aufgeben oder daran festhalten?

Das von der schwarz-grünen Bundesregierung verankerte politische Ziel Klimaneutralität 2040 steht immer wieder zur Diskussion. Ob eine neue österreichische Bundesregierung an diesem ambitionierten Ziel weiter festhält, ist angesichts der zu Jahresbeginn mitunter turbulenten politischen Lage rund um die Bildung einer neuen Bundesregierung unklar. Unstrittig ist nur, dass mit einem ambitionierten Ziel Vor- und Nachteile einhergehen. Welche sind das? Und wie positionieren sich globale und lokale Akteure in dieser Frage? Wir geben Ihnen in unsicheren Zeiten Orientierung und stellen ein Download-Dokument mit Detailinfos zur Verfügung.

 

Klimaneutralität

Was man wissen muss

 

  • Auf europäischer Ebene findet - wie auch in Österreich - eine Entkoppelung zwischen Treibhausgas-Emissionen (THG) und der volkswirtschaftlichen Entwicklung statt. Während in Österreich in den Sektoren Energie, Industrie und Gebäude die Treibhausgase reduziert wurden, sind im Verkehr weiterhin hohe Anstiege zu verbuchen.
  • Im Rahmen des Fit-for-55 Pakets findet eine Europäisierung von Klimaschutz statt. Der Fokus liegt stärker als zuvor auf marktbasierten Instrumenten und dem Einbezug natürlicher sowie technischer Senken.
  • Österreich hat sich aufgrund seiner höheren Wirtschaftskraft höhere Emissionsreduktionsziele bis 2030 gesetzt. Bei Nichterfüllung von Reduktionszielen ergeben sich für Österreich finanzielle Konsequenzen wie beispielsweise der Kauf von Emissionszuweisungen, und nicht-finanzielle Konsequenzen wie beispielsweise die Zielerhöhung bzw. Vertragsverletzungsverfahren. Wichtig zu wissen ist auch, dass das politische Ziel Klimaneutralität 2040 in Österreich aktuell keinen rechts-verbindlichen Charakter hat. Eine künftige Festlegung hängt von der Ausgestaltung der EU-Lastenteilungsverordnung 2031-2040 für die Zwischenziele bis 2040 und einer nationalen Umsetzung im Klimaschutzgesetz ab.
  • Unterschiedliche Klimaschutz-Ambitionen ergeben sich durch verschiedene Möglichkeiten und Voraussetzungen in den unterschiedlichen Kontinenten, Ländern und Regionen. Folgewirkungen auf das Land Steiermark können mitunter die Bestimmungen des Finanzausgleichs betreffen. Werden zudem strategische Festlegungen auf unternehmerischer Ebene abrupt geändert oder gar revidiert, kann das Auswirkungen auf die Finanzierbarkeit von Investitionen haben, da kapitalgebende Akteure auf Belastbarkeit, Stringenz und Kontinuität von langfristigen Unternehmenszielen achten. 

Entwicklung der Treibhausgasemissionen der EU27 (c) eigene Darstellung für illustrative Zwecke

So sieht die künftige EU-Klimapolitik aus

 

  • Das Emissionshandelssystem regelt seit 2005 als Leitinstrument aktuell rund 1/3 der gesamten EU27-Emissionen. Rund 2/3 der Emissionen wurden bislang durch nationale Regularien abgedeckt.

  • Ab 2027 soll ein insgesamt stärkerer Fokus auf marktbasierte Instrumente sowie eine de facto Europäisierung durch Überführung von bislang national-geregelten Sektoren in einen zusätzlichen separaten europaweiten Emissionshandel vollzogen werden.

  • Ziel ist eine substanzielle Emissionsreduktion bereits bis zum Jahr 2040 (iUv -90 % iVz 1990) und die Kompensation der restlichen Emissionen durch natürliche Senken wie Landnutzung und Forstwirtschaft sowie technische Senken wie beispielsweise Carbon Management bei schwer oder nicht vermeidbaren Emissionen.

Reduktions-Pfad

So könnte die Europäische Union ihre Ziele erreichen

 

EU-Ziele

2030

2040

2050

Gesamt
(EU27)

 

-55 % iVz 1990

 

-90 % iVz 1990
Vorschlag EU-Kommission Mai 2024, politischer Einigungsprozess eingeleitet

 

„Klimaneutraler Kontinent“
(Netto-Null)

 

EU ETS 1

 

-61 % iVz 2005

 

-100 % iVz 2005

 

Rest-Emissionen im Falle von Carbon Management möglich

 

ESR 
ETS 22

EU27 -47 % iVz 2005

Österreich -48 % iVz 2005

ETS 2  bis 2044
-100 % iVz 2005

Mögliche Zusammenführung / Koppelung  mit EU ETS offen

ETS: Das Emissionshandelssystem (emission trading system) umfasst CO2-Emissionen der energieintensiven Industrie, der Strom- und Wärmeerzeugung, sowie des Flug- und Schiffsverkehrs und ermöglicht durch eine festgelegte Menge an Emissionen („cap“) die Reduktion, dort wo und dann wenn es volkswirtschaftlich am günstigsten ist („trade“).
ETS 2: Die Lastenteilungsverordnung (effort sharing regulation) regelt alle Treibhausgas-Emissionen, die außerhalb des EU ETS liegen.
Gebäude, Straßenverkehr, kleine Industrieanlagen gehen 2027 über in den ETS 2; Landwirtschaft und Abfallwirtschaft verbleiben in der Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten.
LULUCF: Landnutzung(-sänderung) und Forstwirtschaft (land use, land use change and forestry), haben eine Senkenfunktion. Das heißt sie speichern Treibhausgase in der Biosphäre.
 

Österreich

Was bedeutet Klimaneutralität 2040 für Österreich?

Unter bestehenden Maßnahmen und mit Blick auf die EU-weite Zwischenzielsetzung 2040 kann für Österreich eine Festlegung erwartet werden, die nahe an Klimaneutralität 2040 liegen wird. Eine Nichterfüllung wäre für Österreich teuer, wenngleich auch bis dato keine Rechtsverbindlichkeit für das politische Ziel Klimaneutralität 2040 gilt.

    Der politische Einigungsprozess sieht vor, dass die EU-Kommission einen Vorschlag macht (Basis Impact Assessment, öffentliche Konsultation), eine Einigung findet im Trilog statt (Kommission / Rat / Parlament).

    Die Übertragung der EU-weiten Zielsetzung für 2030 im ESR-Bereich (-47 % iVz 2005) auf nationale Ziele erfolgte „in einer fairen und kosteneffektiven Weise“ unter Verwendung des Pro-Kopf-BIPs als maßgeblichen Verteilungsschlüssel. Deshalb liegen die nationalen Reduktionsziele in einer Bandbreite zwischen -10 % (BUL) und -50 % (GER, LUX, DNK, FIN, SWE). Für Österreich liegt das Zwischenziel bei -48 %.

    Orientiert man sich an dieser Vorgehensweise für 2040, kann für Österreich eine Zielsetzung erwartet werden, die sehr nahe an Klimaneutralität liegen wird (Netto-Null durch Reduktion im Umfang von mindestens 90 % bei gleichzeitigem Aufbau beziehungsweise Erhalt von natürlichen und/oder technischen Senken). Weitere Maßnahmen zur Zielerreichung entlang des Reduktionspfades sind offen.
     

    Die EU-Kommission bewertet jährlich die Fortschritte der Mitgliedstaaten im ESR-Bereich. Sollte Österreich Emissionsreduktionsziele bis 2030 nicht erfüllen,

    • kann Österreich Emissionszuweisungen anderer EU-Mitgliedsländer erwerben, sofern diese ihre Ziele übererfüllen und veräußerungsbereit sind (indikative Abschätzung zusätzlicher Budgetbelastungen von rund 5 Mrd. Euro),

    • kann die EU-Kommission eine Zielerhöhung in den Folgejahren verordnen (im Umfang der überschüssigen Emissionsmenge multipliziert mit Pönalfaktor),

    • kann die EU-Kommission ein außergerichtliches Ausräumungsverfahren und in letzter Instanz auch ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten (mitglied-staatliche Pflicht zur ordnungsgemäßen Richtlinienumsetzung/ -anwendung).

    Die erstmalige Nennung von Klimaneutralität 2040 in Österreich erfolgte im Regierungsprogramm von 2020-2024 der schwarz-grünen Bundesregierung. Da es zu keiner Novellierung des Klimaschutz-Gesetzes (KSG) kam, hat das Ziel keine Rechtsverbindlichkeit.

    Aktuelles KSG (2011, Novelle 2017) regelt die nationalen Ziele bis 2020. Ohne Novellierung verbleiben realpolitisch jedoch ausschließlich Kontroll-/ Berichtspflichten. Verschiedene Initiativen und Aktivitäten wie beispielsweise NEKP, ÖNIP, UBA orientieren sich dennoch an Klimaneutralität 2040.

    Eine Beibehaltung bzw. Abkehr von Klimaneutralität 2040, beispielsweise durch eine neue Bundesregierung, ist bislang offen. Eine Festlegung hängt vor allem von der konkreten Ausgestaltung auf EU-Ebene im Zusammenhang mit der Novellierung der Lastenteilungsverordnung (ESR) für die festzulegende Zwischenzielsetzung bis 2040 und einer entsprechenden nationalen Umsetzung im KSG ab.
     

    Conclusio

    Diese Möglichkeiten ergeben sich für Österreich und die Steiermark

    Im Jahr 2040 wird Österreich unter Fortführung der geltenden EU-Governance und unter der Annahme weiterer Festlegungen sehr nahe bei Netto-Null Emissionen liegen. Chancen ergeben sich durch internationale Technologieführerschaft und Sicherstellung globaler Kooperationsbereitschaft, wobei Unwägbarkeiten bei der Reifegradentwicklung technologischer Innovationen bestehen. Umgekehrt wäre eine Abkehr von Klimaneutralität 2040 vor allem mit einem (inter-)nationalen Reputationsverlust und der Reduktion von Planungssicherheit verbunden.

    Heruntergebrochen auf das Land Steiermark ergeben sich Konsequenzen unter anderem durch das Finanzausgleichsgesetz, welches die Aufteilung eventueller Kosten im Zusammenhang mit dem Ankauf von Emissionszuweisungen zwischen Bund (80 %) und Ländern (20 %) regelt. Die Verteilung unter den Ländern erfolgt entsprechend der Bevölkerungszahl. Das Landesbudget der Steiermark könnte demnach mit rund 140 Mio. Euro belastet werden. Das entspricht in der Größenordnung den Landesaufwendungen für den Wohnungsbau des Jahres 2024 mit rund 170 Mio. Euro.

     

    Ausblick für die Energie Steiermark 

    Die Energie Steiermark hat mit dem Fahrplan Klimaneutralität 2040 bereits eine durch positive (Nachhaltigkeits-)Ratings bestätigte Roadmap zur operativen Umsetzung erarbeitet und wird diesen im Rahmen des Net-Zero Übergangplans im Jahr 2025 wieder aufgreifen und weiterentwickeln. Strategische Chancen umfassen dabei unter anderem Optionen im Bereich der grünen und flexiblen Erzeugung. Diese sind mit hohen Investitionserfordernissen verbunden.

    Werden strategische Festlegungen abrupt geändert oder gar revidiert, kann das Auswirkungen auf die Finanzierbarkeit von Investitionsvorhaben nach sich ziehen. Denn kapitalgebende Akteure achten auf Belastbarkeit, Stringenz und Kontinuität in langfristig-strategischen Ausrichtungen und einer konkreten operativen Umsetzung. Auch bei einer eventuellen (politischen) Abkehr Österreichs von Klimaneutralität 2040 ist es empfehlenswert, anstelle einer Aufweichung bestehender Konzernziele die zukunftsgerichtete Umsetzung ebendieser zu forcieren.

    Österreichisches Parlament (c) Johannes Zinner

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