Die Ergebnisse der Studie „Stromstrategie 2040“ zeigen, dass ein klimaneutrales und robustes Stromsystem für 2040 möglich ist. Wie dafür Angebot und Nachfrage ausgelegt werden müssen, welche Rolle und Dimension Wasserstoff im Jahr 2040 einnehmen kann und warum die Energiebranche beim Photovoltaik-Ausbau nachschärfen wird müssen.
Martina Kiefer: Bitte versuchen Sie in drei Sätzen zu skizzieren, wie Österreichs Energiezukunft im Jahr 2040 aussehen wird.
Anton Burger: Zum Ersten ist Österreich in vielen Dingen hervorragend aufgestellt. Die bereits vorhandenen Wasserkraftkapazitäten bringen sehr gute Voraussetzungen. Auch im Jahr 2040 würde Wasser eine Grundsäule des Stromsystems darstellen. Wasserkraft stellt neben signifikanten Energiemengen auch Flexibilität bereit. Zum Zweiten ist Österreich in der Mitte Europas, wodurch wir Interkonnektor-Kapazitäten mit Nachbarländern haben. Die Rate der Interkonnektion liegt bei in etwa eins, was bedeutet, dass wir standortbedingt einen sehr offenen Strommarkt haben und damit den Austausch mit den Nachbarländern nützen können. Theoretisch könnte man Österreich also nur mit Interkonnektoren versorgen – was man natürlich nicht tun wollen würde. Dennoch illustriert dieser Fakt die Verbundenheit unseres Strommarktes mit den benachbarten Strommärkten. Und, perspektivisch brauchen wir im Jahr 2040 weitere CO2-freie Energiemengen aus Photovoltaik und Wind, wobei man den Fokus noch stärker auf den Wind richten sollte, da dieser auch in der Nacht und im Winter einen signifikanten Beitrag zum Stromsystem liefert.
Das waren mehr als drei Sätze, aber als Autor der Studie Österreichs Stromstrategie 2040 - im Auftrag von Österreichs Energie - ist das zulässig. Was war das Ziel der Studie und welche Ansätze hat man gewählt?
Ziel der Studie war, die teilweise schon vorhandene Stromstrategie 2040 weiterzuentwickeln. Zwei Dinge wollten wir klären: Einen sogenannten Proof of Concept abliefern, also wie unser Stromsystem im Jahr 2040 zusammenspielen kann. Dazu haben wir uns die Frage gestellt, ob die angedachten Kapazitäten und vor allem die Flexibilität ausreichen. Weiters haben wir geprüft, wie das Zusammenspiel mit dem internationalen Strommarkt funktionieren kann. Voraussetzung dafür war das Compass Lexecon Strommarktmodell, welches ganz Europa abbildet und die Strommärkte stundenscharf modelliert. So konnten wir das Konzert der verschiedenen Technologien im zukünftigen Strommarkt darstellen und aussimulieren.
Voraussetzung war wie gesagt ein europäisches Strommarktmodell, um die Interaktionen mit dem Ausland testen und abbilden zu können. Am Ende haben wir gesehen, dass das Ziel der Stromstrategie 2040 mit den geplanten Kapazitäten sehr gut funktionieren würde.
In einem nächsten Schritt ist zu klären, wie man mehr Kapazitäten bekommt. Batterien, Pumpspeicher und auch KWK-Anlagen, die mit Grüngas betrieben werden, werden benötigt. Sie schaffen Ausgleich im System, im saisonalen, wöchentlichen und auch im untertäglichen Rhythmus.
Wie sieht das Energieangebot im Jahr 2040 nun aus?
Die nachstehende Grafik sagt mehr aus, als ich es beschreiben könnte. Demnach werden Laufwasser und Speicher auch 2040 noch sehr wichtig sein. Das Angebot sollte mit möglichst großen Windmengen und auch Photovoltaik komplettiert werden. Den Rest der Kapazitäten braucht man dann für den Ausgleich. Gemessen an den Strommengen erscheinen Batterien, Pumpspeicher und KWK-Anlagen - mit Grüngas befeuert - zunächst nicht so bedeutsam. Diese Erzeugungsmengen sind aber ebenso entscheidend wie Wasser, Wind und PV, da sie den Ausgleich im saisonalen, wöchentlichen und täglichen Rhythmus schaffen – also Flexibilität bereitstellen.
Speicher und Flexibilitäten: was braucht Österreich konkret?
Den weiteren Ausbau der Pumpspeicher. Es braucht auch ausreichend Batterien, um die kurzfristigen Speicherzyklen gut abzubilden. Für die Versorgungssicherheit und um im Jahr 2040 CO2-behaftete Importe mengenmäßig hintanzuhalten, braucht es die mit Grüngas befeuerten KWK-Anlagen.
Der Fokus war zuletzt mitunter stark auf den Photovoltaik-Ausbau gerichtet. Ist dies laut den Erkenntnissen aus der Studie nach wie vor zielführend?
Grundsätzlich liefert die Photovoltaik potenziell große Mengen an günstigem Strom. Aber die Ergebnisse zeigen, dass die Photovoltaik am besten als Teil eines Gesamtsystems funktioniert, vor allem mit Wind und den anderen genannten Kapazitäten. Je mehr erneuerbare Strommengen aus Photovoltaik kommen, desto mehr Speicherkapazitäten sind erforderlich und das macht die Produktion ab einem gewissen Photovoltaikanteil teurer als sie sein müsste.
Österreich ist ein sogenannter Winter Peaking Market. Das bedeutet, es gibt die meiste Stromnachfrage im Winter. Die hauptsächliche Photovoltaik- und Wasserkrafteinspeisung ist jedoch im Sommer am höchsten. Die einzige erneuerbare Technologie, die das ausgleicht, ist die Windkraft, da sie im Winter mehr einspeist. Daher ist der Mix wichtig.
Würden wir auf ein stark Photovoltaik-basiertes System setzen, das noch dazu relativ autark sein soll, also isoliert von den ausländischen Strommärkten, wäre das sehr teuer, weil enorme Speicherkapazitäten benötigt werden würden.
In welcher Größenordnung werden wir Wasserstoff 2040 vorfinden?
Wasserstoff bzw. grüne Gase sind für die Bereitstellung der saisonalen Flexibilität sehr wichtig. Viel Strom aus der Sommererzeugung von Photovoltaik wird künftig von der Elektrolyse absorbiert. Wasserstoff ermöglicht somit eine saisonale Lastverschiebung.
Wasserstoff ist sicher der teurere Teil der Energiewende, die Elektrolyse ist in Zukunft wahrscheinlich aber eine der wenigen Möglichkeiten, um saisonale Lastverschiebung in diesen Mengen zu meistern. Die Alternativen wären große Batteriespeicher, die es aktuell noch nicht gibt. Auch könnte man weiter Erdgas, importierten Wasserstoff oder andere grüne Gase verwenden. In unserem Modell haben wir uns auf eine Lösung mit einem entsprechenden Wasserstoffspeicherzyklus konzentriert. In diesem Modell werden ausländische Strommärkte herangezogen, aber nur so weit, dass Österreich im Stromsektor bilanziell klimaneutral bleibt.
Letztlich spielen auch politische Entscheidungen und Vorgaben in die gewählten Lösungen hinein.
Wenn wir davon ausgehen, dass diese berechneten Szenarien im Jahr 2040 so eintreten, wäre Österreich dann ausreichend abgesichert?
Ja.
Die hier angenommen thermischen Kapazitäten sind ausreichend dimensioniert, um in einem ungünstigen Winterfall die Versorgungssicherheit in Österreich zu gewährleisten.
Hier ergibt sich manchmal ein Zielkonflikt, der bis zu einem gewissen Grad politisch entschieden werden muss. Die Frage lautet: Wie viel möchte ich importieren und wie weit möchte ich mich auf Stromimporte verlassen.
Wir haben in der Studie versucht, einen vernünftigen Weg zu finden. Dazu gehört selbstverständlich auch der Stromhandel mit dem Ausland. Wenn es beispielsweise im Herbst günstigen Windstrom aus dem Norden gibt, dann nutzen wir diesen in unserer Studie. Es wäre sehr unpraktisch das nicht zu erlauben. Parallel dazu werden in Österreich aber auch die entsprechenden Kapazitäten vorbehalten, sodass man auch ohne diesen Windstrom auskommen würde, wenn man es muss.
Die Abhängigkeit von Nachbarländern ist demnach nicht sehr groß?
Richtig. Wir verlassen uns in diesem Szenario nicht zu sehr auf die Stromimporte aus dem Ausland.
Wechselt Österreich in diesem Szenario von produktionsbasierten zu konsumbasierten Emissionen? Also, importieren wir damit nicht Emissionen?
Im Szenario ist Österreich beim Strom klimaneutral und zusätzlich hilft der Stromsektor den anderen Sektoren wie der Mobilität klimaneutral zu werden. Wir erreichen die Klimaneutralität durch eigene Wasserkraft-, Wind- und Photovoltaik-Produktion sowie inländische grüne Gase. Damit produzieren wir ausreichend grünen Strom und müssen bilanziell keine Emissionen importieren. In manchen Stunden importieren wir aber schon Emissionen, beispielsweise durch Gasstrom aus Norditalien. Jedoch tun wir das nicht systematisch, und gleichen diese Emissionen wieder durch den Export von CO2-freiem Strom aus. Wir glauben, das ist ein pragmatischer Ansatz.
Wie sieht die Handelsbilanz genau aus?
Im Sommer exportieren wir mehr Strom, im Winter und Herbst importieren wir mehr. Das ist ein sinnvoller Stromaustausch, der allen Beteiligten ermöglicht, die Energiewende zu geringeren Kosten als ohne diesen Austausch durchzuführen. Der saisonale Ausgleich zwischen den Ländern ist sehr sinnvoll, das sollte man nicht durch dogmatische Herangehensweisen verunmöglichen.
Unterm Strich ist das modellierte Stromsystem 2040 dann relativ robust?
Ja, wir haben das Stromsystem getestet und einem ungünstigen Klimajahr mit wenig Wasser- und Windkrafterzeugung ausgesetzt. Ergebnis: Im System musste keine Energie abgeriegelt werden. Möglich ist aber, dass die Klimaneutralität in ungünstigen Jahren nicht eingehalten werden kann, weil in Backupkraftwerken Gase verbrannt werden müssen, um die Erzeugung zu sichern.
Welchen Projekten sollten sich Energieversorger bis 2030 verstärkt widmen?
Erneuerbare und Flexibilitäten möglichst effizient ausbauen. Pumpspeicher und Batterien sowie KWK-Anlagen bauen, sowie die Netze effizient ausbauen. Wenn man Wasserstoff nutzt, würde es Sinn machen, diesen in KWK-Anlagen zu nutzen, um möglichst viel aus dem nicht ganz günstigen Brennstoff herauszuholen.
Wir müssen versuchen, die Industrie möglichst zu unterstützen. Dies kann man mit dem Argument untermauern, dass sich Preise durchaus nach der Zahlungsbereitschaft richten können. Ganz nach der Theorie des sogenannten Ramsey pricing. Diese besagt, dass es ökonomisch effizient ist, dem Kunden, der eine niedrigere Preiselastizität hat, einen niedrigeren Preis zu geben. Und dem Kunden mit einer höheren Preiselastizität, der nicht so schnell weg ist, einen höheren Preis zu geben. Das würde dann bedeuten, der Industrie einen niedrigeren Preis zu geben. Kunden müsste man im Vergleich einen etwas höheren Preis geben. Unterm Strich haben alle im Schnitt immer noch einen niedrigeren Preis, weil die Menge höher gehalten werden kann.
Dieses ökonomisch sinnvolle Ramsey pricing-Argument wird oft nicht bedacht, stimmt aber durchaus. Es gibt viele Argumente dafür und dagegen, die dann eher politischer Natur sind. Dies ist eine sehr weitreichende Diskussion, die ich hier nur sehr verkürzt wiedergeben kann.
Weiters wäre es sinnvoll, Flexibilitäten auf der Nachfrageseite auszubauen, also die Prosumer in einer effizienten Art und Weise zu aktivieren. Denn alles an Flexibilitätsbedarf, was auf der Nachfrageseite gedeckt werden kann, muss nicht durch extra Infrastruktur gedeckt werden.
Ich wünsche mir eine undogmatische, datengetriebene und von stringenten volkswirtschaftlichen Argumenten geleitete Herangehensweise.
Danke für das Gespräch.